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Beschäftigung mit dem Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt

Nach der Studie zum sexuellen Missbrauch in der evangelischen Kirche gab es eine intensive, aber kurze mediale Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit; Kirchenintern führen die Erkenntnisse allerdings zu nachhaltigen Diskussionsprozessen – und das ist gut so!

Im Folgenden möchte ich ein paar Hinweise geben, die über den letzten Artikel noch hinaus gehen:

Die Jugendleiterinnen Ina Fimpeler und Andrea Zaminer sowie Pfarrer Volker Hofmann-Hanke nahmen an einer Fachtagung des Jugendreferates teil, im Pfarrkonvent war es einen Vormittag lang Schwerpunktthema und beim Treffen der Hauptamtlichen unserer Gemeinde war es auch dran. Und es wird sicher demnächst auch noch mal den Jugendausschuss und das Presbyterium beschäftigen.

Zunächst noch mal zur Faktenlage: Die von der evangelischen Kirche in Deutschland in Auftrag gegebene unabhängige ForuM-Studie („Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland“) ist Grundlage für die Aufarbeitungskommissionen in den Landeskirchen, die jetzt gebildet werden. Bei dieser für unseren Bereich die rheinische, westfälischen und lippische Landeskirche umfassenden Zusammensetzung werden von den Bundesländern berufene Sachverständige und die Betroffenen eine wesentliche Rolle haben. Insgesamt zeichnet die jetzige Herangehensweise eine deutliche Stärkung der Position derer aus, die Unrecht erlitten haben: Erschütternd sind deren Berichte, in denen deutlich wird, wie sie früher als Nestbeschmutzer an den Rand gestellt oder mit dem Hinweis auf die christliche Vergebungsbereitschaft unter Druck gesetzt wurden.

Seit 2004 gab es in der rheinischen Landeskirche 28 Disziplinarverfahren, von denen vier noch laufen. Die Täter sind Kirchenbeamte, Lehrer und Pfarrperson (überwiegend Männer). Für die Vergangenheit wird eine wesentliche höhere Dunkelziffer erwartet. Für die Zukunft sollen die inzwischen eingeführten Standards mögliche Täter abschrecken: erweitertes polizeiliches Führungszeugnis, verpflichtende Schulungen für haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende, Meldung von Verdachtsfällen und Erstellung eines Schutzkonzeptes (unter anderem mit kritischer Sichtung der räumlichen Gegebenheiten). Wir als Gemeinde waren und sind in diesen Hinsichten von Anfang an sehr offensiv an das Thema herangegangen. So sind bei uns alle relevanten Personen geschult; und wir denken schon über eine Auffrischung nach. Wichtig ist, dass wir alle hinsehen und wahrnehmen (auch ein „komisches Gefühl im Bauch“ sollte ernstgenommen werden)!

Wenn es um die Stärkung von Kindern und Jugendlichen geht, dann kommt für die Vorbeugung aber auch darauf an, dass wir einen respektvollen und Distanz wahrenden, aber auch die Lebensfreude fördernden altersgemäßen Umgang mit dem Thema Sexualität etablieren.

Auch theologisch gibt es spannende Fragestellungen. Hier seien nur zwei kurz angedeutet:

Wenn unser Gottesbild nur von einer männlich-patriarchalischen Vaterfigur geprägt wird, dann hat es ein männlicher Täter in leitender geistlicher Funktion möglicherweise leichter, dass sich Betroffenen gar nicht trauen, „Nein!“ zu sagen.

Und wie ist unser Umgang mit dem Thema Schuld? Wenn die von einem liebenden und den Sünder annehmenden Gott vergeben wird – allein aus Gnade wie wir Evangelischen ja gerne sagen, dann ist die Gefahr groß, dass der Teil der Reue übersprungen wird, also das Zu-Sich-Nehmen der Verantwortung und das Anerkennen des verursachten Leids. Vergebung oder gar Versöhnung kann aber nie von außen über die Betroffenen hinweg eingefordert werden! Stattdessen brauchen die Betroffenen die Erfahrung, dass ihnen zugehört wird!

Es zeigt sich also, dass das Thema eine Bedeutung hat, die in viele wesentliche Bereiche unserer Identität als Glaubende und als Gemeinschaft der Glaubenden hineinragt.

Volker Hofmann-Hanke