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Politischer Erntedank?!

Das klingt erst mal komisch: Was haben Politik und Erntedank miteinander zu tun? Sehr viel!

Klar: Erntedank ist in allen Kulturen ein Fest der spirituellen Einsicht, dass wir unser Leben und alles zum Leben Notwendige letztlich nicht selbstverständlich haben. Daher gibt es Grund, dankbar zu sein – ob man religiös ist oder nicht. Gläubige Menschen beziehen ihre Dankbarkeit dann auf Gott, dem Geber des Lebens und aller Mittel zum Leben, also der Lebensmittel. Wenn die Erntesaison zu Ende ist, wird daher Erntedank gefeiert, einfach als ein passender Zeitpunkt im Jahreskalender für etwas, was natürlich immer möglich und sinnvoll ist!

In der jüdisch-christlichen Tradition kommt ein weiteres hinzu: Nach der Schöpfungsgeschichte erhält der Mensch von Gott den Auftrag, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Spätestens seitdem der Mensch in der Lage ist, durch sein Handeln die Grundlagen des Lebens auf der Erde massiv zu beeinflussen, resultiert daraus eine Verantwortung, die auch ins Politische reicht.
 

Jetzt macht sich in letzter Zeit ein Phänomen breit, das mich sehr beschäftigt: Wissenschaftlich ist die Notwendigkeit zu starken Selbstbegrenzungen des Menschen weiterhin mehr als klar – dennoch findet sich der Stellenwert des Themas Klimawandel etc. inzwischen weit abgeschlagen hinter anderen (sicher auch wichtigen) Themen. Manchmal beschleicht mich der Eindruck, dass es dabei um ein kollektives Verdrängen geht: Nach dem Motto: „Ich kann es nicht mehr hören“, oder: „Sollen doch erst mal die anderen“ schieben wir das Thema weg. Ein Beleg dafür könnte auch darin liegen, dass die Partei, die mit diesem Thema am ehesten identifiziert wird – die Grünen – rapide Wahl- und vor allen Image-Verluste verzeichnet. Das hat vielleicht auch andere Gründe, aber es könnte so einen unbewussten Wunsch geben: Wenn die kleiner werden, wird auch das Problem kleiner. Nur stimmt das leider nicht! Deshalb frage ich mich, ob wir nicht als Kirche stärker noch wieder die politische Dimension von Erntedank ins Spiel bringen müssen:

  • weil wir uns als von Gott in die Verantwortung Gerufene verstehen
  • weil wir allen Grund haben, die Hoffnung nicht aufzugeben: Selbst wenn man am Menschen (einschließlich der Politik) manchmal verzweifeln kann, dürfen wir ja darauf vertrauen, dass Gott selber seine Erde nicht fallen lässt.

Es braucht den Mut, sich auch den möglichen unbequemen Sachverhalten zu stellen; tun wir das nicht, wird es noch unbequemer. (Die Zahl der sogenannten Jahrhundertereignisse bei Überschwemmungen ist bei uns in den letzten Jahren extrem gestiegen.)

Es braucht die Einsicht, dass wir uns dabei nicht abschotten können: Klimakrise und Migration hängen ja unmittelbar zusammen, wenn Menschen in Gegenden, die schon jetzt noch stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, sich zu uns aufmachen.

Es braucht die Bereitschaft, unseren möglicherweise kleiner werdenden (zum Teil durch Ausbeutung und billige Energieeinfuhr ermöglichten) Reichtum sozialverträglich zu teilen und die deutliche Förderung für umweltverträgliches Wirtschaften.

Es braucht die innergesellschaftliche Diskussion zu diesen Themen statt einem Erstarren vor der Sorge um die Zukunft unserer Demokratie angesichts des Rechtsrucks.

Es braucht die Erkenntnis, dass ja auch schon einiges an Veränderungen passiert ist und es ja auch tatsächlich Erfolge im Umweltschutz gibt.

Und was es vielleicht am meisten braucht: Dankbare Menschen, die aus dieser Dankbarkeit heraus ins Handeln kommen!
 

Denn es sagen alle Experten: Auch wenn wir es nicht mehr verhindern können, dass der Klimawandel sich auswirken wird (das tut er ja schon jetzt), ist es alles andere als zu spät: Jede Reduzierung der Erderwärmung hilft, die Dramatik der Folgen abzumildern!

Ich wünsche uns – trotz allem und jetzt erst recht – ein gesegnetes Erntedankfest voller Einsicht und Zuversicht!

Volker Hofmann-Hanke